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11.02.2020

Aus dem Alltag eines Klinikseelsorgers

Ralf-Peter Greif, Klinikseelsorger im Immanuel Klinikum Bernau Herzzentrum Brandenburg und im Immanuel Krankenhaus Berlin am Standort Buch, sprach im Interview mit der Zeitschrift "Die Gemeinde" über seine Arbeit.
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Ralf-Peter Greif

Können Sie in einigen Worten erzählen, wo und was Sie arbeiten?

Ich arbeite als Pastor für Klinikseelsorge und bin Menschen zur Seite in der Auseinandersetzung mit akuter Krankheitssituation als auch anhaltendem, das heißt chronischem Krankheitserleben. Das tue ich seit vielen Jahren in der heutigen Immanuel Albertinen Diakonie. Dort arbeite ich zu einem Teil im Immanuel Klinikum Bernau Herzzentrum Brandenburg in den Bereichen der Herzchirurgie und Kardiologie sowie der Intermediate Care und Intensivmedizin, zum anderen Teil im Immanuel Krankenhaus Berlin am Standort Buch – das ist eine Fachklinik für Rheumatologie, Orthopädie und Naturheilkunde. Hier bin ich in einem spezifischen rheumatischen Bereich unterwegs.

Wird das Seelsorgeangebot gerne angenommen, auch von Menschen, die mit dem Glauben gar nicht so viel am Hut haben?

Ich erinnere mich an eine sehr eindrückliche Begegnung. Auf meine Vorstellung als Seelsorger in einem Dreibettzimmer, lässt mich einer der Patienten sofort unmissverständlich wissen, dass er mit einem wie mir nichts zu tun haben möchte. Ich sage ihm, dass ich das respektiere und einfach Anteil an seinem Ergehen nehmen wollte. Und dann erzählt er von dem, was ihn bewegt: durch die Herzerkrankung aus seinem geliebten Beruf gerissen worden zu sein, wie unerträglich es sei, auf einmal nicht mehr zu können und von der Angst vor der Operation. Ich bin lange bei ihm und höre zu. Als ich mich verabschiede, nimmt er meine Hand und sagt: „Ich hätte Sie nie gerufen. Aber jetzt bin ich froh, dass Sie gekommen sind. Es tat so gut, reden zu können.“

Nach meiner Beobachtung reagiert der größere Anteil der Menschen auf das bei der Anmeldung in der Klinik gemachte Angebot der Seelsorge eher ablehnend. Darum ist mir neben der Vermittlung vonseiten der Behandlungsteams das unaufgeforderte Aufsuchen der Patientinnen und Patienten sehr wichtig. Mich einfach zur Verfügung stellen. Viele wertvolle, unterstützende und hilfreiche Begegnungen, Gespräche und Begleitungen sind daraus entstanden.

Seelsorge ist in meinem Umfeld immer wieder mit Unkenntnis und Vorurteilen besetzt. Deshalb liegt mir daran, zu den Menschen in meinem Tätigkeitsfeld in großer Offenheit Zugang und Vertrauen zu gewinnen. Es ist meines Erachtens wichtig, Patientinnen und Patienten die Erfahrung zu ermöglichen, ob und inwieweit Seelsorge ihnen unter den besonderen Umständen eine Hilfe sein kann.

Was bieten Sie mit Ihrer Seelsorge denn an?

Als erstes vor allem menschliche Zuwendung. Einer Patientin, einem Patienten Ansehen schenken, mit dem, was gerade beschäftigt wahr- und ernst nehmen. Jeder medizinische Befund hat ein Befinden. Dem Raum zu geben. Dafür bin ich da. Die Frage „Wie geht es Ihnen?“ ist hier keine Floskel, sondern ein entlastendes Angebot, das augenblickliche Ergehen zu teilen.

Was ich weiter zur Verfügung stelle, ist die spirituelle Begleitung. Was trägt und hält den Menschen, dem ich mich zuwende? Woraus kann er oder sie Kraft schöpfen? Das miteinander zu suchen, zur Sprache zu bringen und sich davon stärkend berühren zu lassen – darin sehe ich meine Aufgabe.

Und nicht zuletzt bringe ich ein pastorales Angebot mit – etwas, das ich mit meinem christlichen Glaube in diese konkreten Situation möglicher Weise einbringen kann. Entweder werde ich konkret darum gebeten oder ich nehme Geschichten, Bilder, Worte ins Gespräch oder ich biete gezielt Texte und Lieder, Gebete und Segnung oder auch das Abendmahl an.

Mir liegt daran, in jeder einzelnen Begegnung zu erspüren, was jetzt hier hilfreich ist: die Zuwendung, die persönliche Kraftquelle oder der Zuspruch der Gegenwart Gottes. Da gibt es kein Ranking. Alles hat zu seiner Zeit seine Bedeutung. Manchmal nur das eine, manchmal alles. Und schließlich alles hängt zusammen.

In der erzählten Begegnung traf ich den allem Religiösen zuerst so ablehnend gegenüberstehenden Patienten am Sonntag darauf im Klinikgottesdienst an. Beim Abschied sagte er mir: „Danke. Das, was sie da gesprochen haben, war ja genau für mich.“

Wie viel Zeit nehmen Sie sich, wenn Sie ein Krankenzimmer betreten?

Bei meinem Einstellungsgespräch sagte mir mein damaliger Chef: „Sie werden eingestellt, um Zeit zu haben.“
In einem Kontext von knappem Personal und hoher Arbeitsanforderung braucht es Menschen, die Zeit haben. Das Erleben von Patienten „für mich nimmt sich jemand Zeit“ bedeutet: ich bin nicht vergessen, ich werde beachtet, das bin ich wert.

Ich versuche schon lange nicht mehr, möglichst viele Patientinnen und Patienten zu treffen. Der eine beansprucht weniger Zeit, die andere ganz viel. Dann ist das eben so. Der Kairos – der richtige Augenblick – ist nicht zu planen, er ist ein Geschenk.

Nach seiner Operation besuchte ich den erwähnten Patienten erneut. Er winkte fröhlich, als er mich sah und meinte: „Herr Pfarrer, wenn Sie damals nicht zu mir gekommen wären, hätte ich meine Tasche genommen und wäre wieder gegangen. Sie haben mir das gegeben, was ich gebraucht habe, um das hier durchstehen zu können.“

Wie gehen Ihrer Beobachtung nach Menschen mit dem Tod um?

Der Umgang mit dem Tod ist nach meiner langjährigen Wahrnehmung so individuell wie wir Menschen verschieden sind. Der Wille zu leben ist stark und hält mitunter nicht nur viel aus, sondern auch lange an.
Das ein Mensch bereit ist zu sterben, das jemand sagt: jetzt kann ich gehen, ist etwas Besonderes, ist ein Geschenk.

Ich denke, sich heutzutage mit dem Sterben-müssen schwer zu tun, hat nicht zuletzt auch seinen Grund in den medizin-technischen Möglichkeiten, das Leben verlängern zu können. Auch das beobachte ich: Religiöse Menschen sterben nicht selbstverständlich leichter. Genauso gehen Menschen ohne Glauben an Gott geklärt mit dem nahe bevorstehenden Tod um.

Mich beeindrucken Gespräche mit Patientinnen und Patienten, die - wissend nicht mehr viel Zeit zu haben – weniger beunruhigt und ängstlich auf das Ungewisse schauen, sondern dankbar auf das gelebte Leben zurückblicken. Und es immer wieder so leben würden. Und ich lerne: so zufrieden leben, stirbt es sich ganz offensichtlich leichter. Genauso weiß ich um die Kraft einer tiefen Verbundenheit mit Gott, die bewusst gemacht in Worten, gesprochen und gesungen, durch das Sterben hindurchträgt. Das sind Momente, die mich sehr berühren.

Wie gehen Sie selbst damit um, wenn Sie den ganzen Tag schwere Lebens- und Leidensgeschichten hören?
Wie können Sie vermeiden, das mit nach Hause zu nehmen?

Weil meine lange Zeit im Klinikalltag mich die Einsicht lehrt: auch das ist das Leben. An Orten wie diesen geht es wie anderswo traurig und heiter zu, kann das Schwere auch leicht genommen werden. Es gibt Lachen im Leid und Fröhlichkeit unter Tränen.

Unvergessen ist mir die Begleitung eines schwerkranken Mannes, den Tod vor Augen. Seine Frau war mit am Bett. Und ich fragte ihn, was er gern im Rückblick erinnert. Und dann erzählte er mit einem Mal verrückte, freche und lustige Episoden. Und was haben wir gelacht. Also meine Arbeit schenkt trotz vieler belastender Begegnungen und unter die Haut gehender Geschichten viel Freude und das Gefühl wie auch die Bestätigung, Menschen gut getan zu haben. Und es tut selbst gut, wenn Patientinnen und Patienten einem sagen: Schön, dass es Sie gibt.

Unvermeidlich gehen auch Bilder und Eindrücke, die Ohnmacht leerer Hände und Worte mit. Die bringe ich dann in meine Vertrautheit mit Gott oder in die professionelle Bearbeitung kollegialer Intervision wie auch einzelner Supervision. Und für mich ist es wichtig, dass ich selbst ein Leben lebe, das über meine erfüllende Tätigkeit im Krankenhaus hinausgeht.

Zuerst erschienen in der Zeitschrift „Die Gemeinde” 01/2020, Oncken Verlag.

 
 
 
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